Foto: IMAGO/ Sabine Gudath

Verhandlungen mit dem neuen Volksbühnenteam

Oktober 2020 – April 2021

Stellungnahme

Zu René Pollesch nahmen wir bereits im Juni 2017 Kontakt auf. Auch nach der polizeilichen Räumung von „B6112“ am 28. September 2017 blieb Pollesch den linksradikalen Anliegen dieser Stadt treu und wurde von uns als aufrichtiger Verbündeter wahrgenommen.

Er unterstützte, neben Donna Haraway, unsere Arbeit gegen die Räumung der Liebig34 oder trug eigenständig Unterschriften von Kolleg*innen wie Elfriede Jelinek für die „Kein-Haus-Weniger“-Kampagne zusammen. Bei der Pressekonferenz zu seiner Ernennung zum designierten Volksbühnen-Intendanten hatte er entsprechend angegeben: „Ohne die Besetzer*innen geht es nicht“. Am selben Abend feierten wir gemeinsam mit Pollesch und Wegbegleiter*innen seine Berufung im Prater. Einer Demokratisierung und Kollektivierung der Volksbühne schien nichts mehr im Weg zu stehen. Der New York Times sagten wir im Interview, Pollesch sei der richtige Mann, um die notwendige Transformation einzuleiten.

Über die Jahre hatten wir Pollesch und Mitglieder seines Teams immer wieder mit Verbündeten bekanntgemacht und Transformationsideen besprochen. Nach unzähligen informellen Treffen in den Jahren 2017-2020 starteten im Oktober 2020 auch formelle Verhandlungsgespräche mit Pollesch und seinem Team – zunächst im Vorbereitungsbüro in der Ackerstraße, dann auch im Grünen und Roten Salon. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits seit mehreren Monaten intensiv mit dem #MeToo-Beschwerdeverfahren gegen Klaus Dörr befasst, wovon das Volksbühnenteam seit Juli 2020 Kenntnis hatte.

An den Verhandlungsrunden nahmen neben Intendant Pollesch auch Chefdramaturgin Anna Heesen, P14-Leiterin Vanessa Unzalu-Troya, Bühnenbildner Leo Neumann, Musikdramaturgin Marlene Engel und Schauspielerin Kathrin Angerer teil.

Wir waren guter Dinge: Immerhin hatte neben Pollesch auch Leo Neumann mit seiner Band  2017 an „B6112“ teilgenommen und auch Lenore Blievernicht hatte uns aktiv unterstützt. In den Gesprächen kristallisierte sich jedoch sehr schnell heraus, dass sich das sogenannte Leitungs-Kollektiv nicht mit den strukturellen Implikationen von „B6112“ befasst hatte. Weder hatte es die kunsttheoretische Rahmung, noch die stadtpolitischen und aktivistischen Voraussetzungen der Partizipierenden und deren Motivation durchdrungen.

Sie begannen die Gespräche offenbar in dem Irrglauben, es ginge unserem Kollektiv darum, auch mit einem Projekt an der Volksbühne vorzukommen und dafür den Verrat unserer Ideale, die Hinnahme patriarchaler und monetärer Hierarchien in Kauf zu nehmen. Doch machen wir uns nichts vor: in diesen toxischen und autoritären Strukturen Kunst zu machen, ist eigentlich spießig, opportunistisch und reaktionär. Und wir wissen, dass es neben uns auch vielen anderen Theaterschaffenden schwer fällt, diese schizophrene Situation zu ertragen, dass wir mit unserem Wunsch nach neuen Strukturen nicht allein sind.

Wir hatten den Eindruck, dass die Verhandelnden nicht in der Lage waren, eine machtkritische Position einzunehmen, was in unserer künstlerischen Arbeit jedoch unabdingbar ist. Unserer Frage, ob wir uns darin einig seien, dass Polleschs Intendanz perspektivisch durch eine selbstorganisierte Struktur ersetzt werden sollte, dass es nur noch um das WIE und nicht um ein OB gehe, wollten sie nun nicht mehr bejahen. Die stundenlangen Gespräche haben wir als unehrlich, demütigend und intellektuell unbefriedigend erlebt. 

Die Verhandlungen mussten wir im April 2021 schließlich als gescheitert betrachten. Pollesch selbst ist zum Treffen, bei dem uns eine endgültige Absage erteilt wurde, nicht erschienen. Unseren Vorschlag, die Gespräche auf Delegierte anderer Gruppen und Initiativen auszuweiten oder in eine mehrtägige Klausur zu gehen, um die Konfliktlinien zu konkretisieren, wurden abgelehnt. Anna Heesen übermittelte die Teamentscheidung mit der Erklärung, für die Umsetzung unserer Forderungen „fehle ihnen schlicht die Vorstellungskraft“.